TU Chemnitz: Modellierung und Charakerisierung der Prozessparameter und deren Einfluss auf das Plasmanitrieren

Plasmanitrieren ist ein weit verbreitetes thermochemisches Oberflächenbehandlungsverfahren zur Verbesserung der Oberflächenhärte und Korrosionsbeständigkeit. Der Vorteil beim Plasmanitrieren ist eine große Vielfalt an einstellbaren Oberflächeneigenschaften durch eine sehr variable Prozessführung. Durch die Modellierung des Nitrierprozesses können neue Erkenntnisse erlangt und Vorhersagen zu der entstehenden Nitrierzone getroffen werden. Nachfolgende Ausführungen basieren auf Studien von Tim Bergelt, der Maschinenbau an der TU Chemnitz studierte und sein Studium 2020 erfolgreich abschloss.

Beim Plasmanitrieren wird molekularer Stickstoff mithilfe eines Plasmas atomisiert und anschließend ionisiert. Dies ermöglicht es den Stickstoffatomen in die Werkstoffoberfläche einzudiffundieren. Der Stickstoff diffundiert entlang eines Konzentrationsgefälles von der Oberfläche in Richtung des Werstoffinneren. Bei Stählen wandelt die Matrixphase (α-Fe) entsprechend der maximalen Löslichkeit von Stickstoff zuerst nach γ‘- und anschließend zu ε-Nitrid um. Direkt an der Substratoberfläche, wo die höchste Stickstoffkonzentration vorherrscht, bildet sich die sogenannte Verbindungsschicht (VS) aus. Diese besteht nur aus Nitriden (γ‘ und ε) und besitzt keine Anteile an Matrixphase. Unterhalb der Verbindungsschicht beginnt die Diffusionsschicht (DS). Diese ist als Mischphasengebiet aus Nitriden (primär γ‘) und Matrixphase definiert. Die oberflächennah liegende VS besitzt eine sehr hohe chemische Beständigkeit und durch die keramik-ähnliche Struktur der Nitride eine sehr hohe Härte. Die darunterliegende DS bestimmt die Einhärtetiefe der gesamten Nitrierzone (VS +DS).

Die Eigenschaften der Nitrierzone lassen sich bspw. über die Prozessparameter Temperatur, Zeit und Atmosphäre gezielt einstellen. Der Fokus der Betrachtung liegt hier auf der Prozesstemperatur und -zeit bei identischer Atmosphäre.

An der TU Chemnitz wurde ein Nitriermodell für zwei verschiedene Stähle entwickelt, um die Einflüsse von Prozesstemperatur und -zeit sowie unterschiedlicher Mikrostrukturen zuerst experimentell und dann modellhaft zu analysieren. Die experimentellen Versuche dienen als Validierungsgrundlage für die geplanten Nitriermodelle. Bei den Stählen fiel die Wahl auf den hochlegierten Werkzeugstahl X153CrMoV12 mit einer sehr heterogenen Mikrostruktur aufgrund großer Chromkarbide und auf den Nitrierstahl 15CrMoV5‑9 mit einer vergleichsweise homogenen Mikrostruktur. Beide Stähle wurden bei drei verschiedenen Temperaturen (480, 520 und 560 °C) für jeweils 2, 4 und 16 h unter gleichen Atmosphärenbedingungen nitriert. Für die Validierung der Modelle waren Aussagen zu den Schichtdicken der VS und DS sowie der Stickstofftiefenverläufe bei den einzelnen Parameterkonstellationen notwendig. Die Schichtdicken lassen sich einfach über geätzte Querschliffe bestimmen, da die VS als weiße Schicht an der Oberfläche auftritt und die DS als dunkler Bereich darunter. Zusätzlich wurden noch Härtetiefenverläufe aufgenommen, um Aussagen über die jeweilige Nitrierhärtetiefe treffen zu können.

Die Nitriermodelle der zwei unterschiedlichen Mikrostrukturen wurden in dem kommerziellen FEM-Programm DEFORM aufgebaut und validiert. Wie in Abb.1 dargestellt, wird die reale Mikrostruktur des X153CrMoV12 mittels MATLAB-Skript nach DEFORM überführt, um mögliche mikrostrukturelle Einflüsse abbilden zu können. Beide Modelle konnten entsprechend der experimentellen Daten validiert werden und sind in der Lage im Rahmen des aufgestellten Prüfraums die Schichtdicke (VS und DS) und auch die Stickstoffkonzentration qualitativ vorherzusagen. Außerdem zeigt das Modell des X153CrMoV12 im Vergleich zum 15CrMoV5‑9 eine Beeinflussung des Schichtwachstums durch die Karbide. Durch die schlechtere Stickstoffdiffusion in den Karbiden im Vergleich zur Matrix wirken sie als leichte Diffusions-barrieren, was zu minimal geringeren Schichtdicken in karbidreichen Gebieten führt. Dennoch ist dieser Effekt so gering, dass makroskopisch betrachtet kein Nachteil für die Einhärtetiefen entsteht. Des Weiteren wurden größere Schichtdicken der VS und DS mit steigender Temperatur und Zeit identifiziert. Der Einfluss ist dabei für den 

15CrMoV5‑9 deutlich höher im Vergleich zum X153CrMoV12. Die Ursache ist höchstwahrscheinlich auf die Kombination aus unterschiedlichen Löslichkeitsgrenzen und Diffusionskoeffizienten für Stickstoff der zwei Legierungskonzepte zurückzuführen. Dieser Ansatz soll in weitererführenden Studien näher untersucht werden. Die bisher entwickelten Modelle ermöglichen die Vorhersage des Schichtwachstums der VS und DS für den Temperaturbereich 480–560 °C bei Nitrierzeiten bis zu 16 h. Auch liefert das Modell erste Ansätze und Tendenzen zum Einfluss der unterschiedlichen Mikrostrukturen der Stähle X153CrMoV12 (heterogen) und 15CrMoV5‑9 (homogen) auf den Nitrierprozess. Dies soll es ermöglichen, den Nitrierprozess in Abhängigkeit der jeweiligen vorliegenden Mikrostruktur auszulegen und somit bessere Nitrierergebnisse zu erzielen.

Die Autoren bedanken sich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Förderung der vorgestellten Arbeiten im Rahmen des Projektes LA 1274/56-1.

Zur Person

Seit Abschluss seines Studiums 2020 ist Tim Bergelt als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Werkstoffentwicklung und -analytik tätig. Sein Beschäftigungsbereich erstreckt sich primär auf numerische Simulationen thermischer und mechanischer Einflüsse sowie Gefügeentwicklungen. Weitere Aufgabenbereiche sind die Ermittlung von Werkstoffkennwerten durch geeignete Modelle.

 

Kontakt

Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas Lampke
Tim Bergelt, M.Sc.
E-Mail: tim.bergelt(at)mb.tu-chemnitz.de
Professur Werkstoff-und Oberflächentechnik
Technische Universität Chemnitz
www.tu-chemnitz.de/mb/WOT